Die Anerkennung eines Wunders

Wie sieht das Verfahren zwischen der Heilung einer Person und der möglichen Anerkennung dieser Heilung als Wunder aus? Das Wort „Verfahren (Prozedere)“ mit seinem gerichtlichen Aspekt wird nicht zufällig verwendet, denn es handelt sich um einen Prozess, der auf ein abschließendes Urteil abzielt. In dieses Verfahren sind einerseits die Medizin und andererseits die katholische Hierarchie einbezogen. Außerdem muss unterschieden werden, was sich in Lourdes und was in der Diözese, in der die geheilte Person normalerweise lebt, ereignet.

Anerkennungsverfahren: Der theoretische Ablauf

Eine Person wird geheilt. Sie freut sich und ihre Umgebung mit ihr. Wenn sie niemand dazu auffordert, ist es unwahrscheinlich, dass sie sich beim Büro für medizinische Feststellungen in Lourdes meldet. Wenn die Heilung echt ist, ist der Empfänger oft in Sorge, sich in den Vordergrund zu drängen: Er denkt eher daran, anderen von sich aus Gutes zu tun, als über sich vor aller Welt Zeugnisse abzulegen. Indiskretion in den Medien macht Angst. Das Verfahren wird sich über Jahre hinziehen, mit zahlreichen Rückfragen und Kontrollen: Lohnt es sich wirklich, sich in ein solches Abenteuer zu stürzen, das an der Tatsache nichts ändert? Die geheilte Person ist geheilt und Lourdes ist nicht auf Wunder angewiesen, um zu beweisen, dass die Erscheinungen authentisch sind.

Die geheilte Person geht bisweilen zögerlich zum „Büro für medizinische Feststellungen“ (Bureau des Constatations médicales). Der Arzt nimmt die Aussage auf und versucht, sich einen ersten Eindruck zu verschaffen: Handelt es sich um eine ernsthafte Krankheit oder Behinderung? Scheint eine Heilung tatsächlich erfolgt zu sein? Wenn diese beiden Fragen mit Ja beantwortet werden, ist die Frage, ob der Vorfall außergewöhnlich ist? Wie steht es um den psychischen Zustand der Person? Wenn der Arzt der Meinung ist, dass sich weitere Untersuchungen lohnen, wird er die Person bitten, so viele Unterlagen wie möglich zusammenzutragen, um die Diagnose zu untermauern, denn die Ärzte in Lourdes haben sich immer der Frage zu stellen: War die Person tatsächlich an der Krankheit erkrankt, von der sie dachte, betroffen zu sein? Da sie geheilt ist, ist es nicht möglich, ihre Aussagen zu überprüfen, außer durch die Untersuchungen, denen sie sich vor der Heilung unterzogen hat.

Der Arzt wird die Person auch bitten, im nächsten Jahr wiederzukommen, da eines der Kriterien für die Authentizität der Heilung ihre Dauerhaftigkeit ist. Diese Phase kann sich über Jahre hinziehen, sowohl um die Unterlagen zusammenzustellen als auch um die Dauerhaftigkeit der Heilung zu festzustellen.

Wenn es möglich war, eine halbwegs vollständige Akte zusammenzustellen, und die Person nach Lourdes zurückkehrt, kann der Arzt eine Zusammenkunft des „Bureau des Constatations médicales“ (Büro für medizinische Feststellungen) einberufen. Alle an diesem Tag in Lourdes anwesenden Ärzte, ungeachtet ihrer persönlichen Überzeugungen, werden eingeladen, sich in Anwesenheit der betroffenen Person zu versammeln. Sie können alle Fragen stellen, die sie möchten, und untereinander über die Stichhaltigkeit der Diagnose und die bekannten Verläufe dieser Krankheit diskutieren. In dieser gesamten Phase geht es darum, die Heilung „festzustellen“. Sie unterliegt der Verantwortung des Büros, das richtigerweise „Büro für medizinische Feststellungen“ genannt wird.

Wenn die Heilung tatsächlich vom „Büro für medizinische Feststellungen“ festgestellt wird, wird die Akte vom ständigen Arzt an das Internationale Medizinische Komitee von Lourdes (CMIL) auf dessen Jahrestagung vorgelegt. In der Regel ernennt das CMIL eines seiner Mitglieder, um die Akte eingehender zu prüfen. Dieser „berichtende“ Arzt kann jeden nach seinem Willen konsultieren. Er zieht alles heran, was in der „medizinischen Literatur“ zu dem Thema veröffentlicht wurde. Er kann Teile der Akte verdeckt anderen Kollegen vorlegen, um deren Einschätzung einzuholen.

Bevor das CMIL sein Urteil fällt, berücksichtigt es die sieben „Lambertini-Kriterien“. In seinen Schlussfolgerungen kann es weit oder weniger weit gehen.
– Wenn es bei der Diagnose noch eine Unsicherheitsspanne gibt, kann sich das CMIL damit begnügen, sie zu „bestätigen“: Ja, dieser Person ging es schlecht; ja, seit Jahren und heute geht es ihr gut; ja, diese abrupte Veränderung hat etwas mit Lourdes zu tun.
– Das CMIL kann noch weiter gehen und „bescheinigen“, dass die Art und Weise dieser Heilung nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft unerklärt bleibt. Die Bestätigung muss zwei Drittel der Stimmen auf sich vereinen.
Auf der Grundlage der Schlussfolgerungen des CMIL mit der Meinung der Personen, die er in seiner Diözese konsultiert hat, aber ohne sich an Rom wenden zu müssen, entscheidet der Bischof der Diözese der geheilten Person über die öffentliche Anerkennung durch die Kirche. Die verbindlichste Erklärung ist die Anerkennung des „Wunders“, aber wenn der Bischof nicht so weit gehen will, um der Medizin nicht mehr vorzuschreiben, als sie zu sagen hat, kann er das Zeugnis der geheilten Person genehmigen, vorausgesetzt, sie bleibt in Demut, sowohl vor Gott… als auch vor der Medizin.

Das Verfahren von heute ist also noch komplexer als das Verfahren in den 1950er Jahren. Wie könnte es auch anders sein, da sich die Medizin so sehr verändert hat? Sie hat den Vorteil, dass sie Abstufungen in der Aussage festlegt. Sie führt aus dem Dilemma heraus: Wunder oder Illusion? Es gibt Abstufungen in der Behauptung, weil es Abstufungen in der Gewissheit gibt. Man muss daran erinnern, dass Wunder ebenso wenig wie Erscheinungen Glaubensbekenntnisse sind, auch wenn wir, wie Bischof Laurence in Bezug auf die Erscheinungen sagte, „berechtigt sind, daran zu glauben“.